Bewegung – zentraler Motor für die kindliche Entwicklung

Wir alle wissen: Bewegung ist für alle Menschen extrem wichtig, und zwar nicht nur für unsere körperliche Gesundheit und Fitness, sondern auch für unsere (schulische) Leistungsfähigkeit und unser seelisches und soziales Wohlbefinden (Anmerkung 1).
In der Kindheit aber ist Bewegung noch wichtiger, nämlich als zentraler Motor für die ganzheitliche Entwicklung von Körper, Geist, Seele und sozialem Miteinander!
Darauf weist der 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (Anmerkung 2) hin, der dem Thema Gesundheit gewidmet ist und die Erkenntnisse aus vielen Studien zusammenfasst. In diesem Bericht wurde das Aufwachsen in 5 Altersstufen unterteilt und für jede Stufe wurden besondere „gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen“ formuliert:

Für die 0-3-Jährigen wurde das Thema „Bindung und Autonomie“ gewählt: Eine gute emotionale Bindung des Kindes an seine Bezugspersonen schafft eine sichere Basis für das Erkundungsverhalten von Säuglingen und Kleinkindern. Dieses beruht nicht nur auf „Neugier“ und dem Bedürfnis nach neuen Anregungen, sondern auch auf einer „Wirksamkeitsmotivation“ und dem Streben nach Autonomie: Kleinkinder verlassen die schützenden Arme von Mutter oder Vater immer öfter und für immer weitere „Ausflüge“ in die noch unbekannte Welt. Und dieses Erkundungsverhalten ist, gerade weil das Kind noch kaum sprechen kann, engstens mit Bewegung verbunden: Das Kind nimmt seine Umwelt nicht nur mit Augen und Ohren in sich auf, es will sie nicht nur schmecken und riechen, sondern es will und muss sie im wahrsten Sinne des Wortes auch mit seinen Händen „begreifen“, und sich in ihr bewegen und den Raum mit eigenen Schritten „ermessen“, um sie sich auch kognitiv und emotional anzueignen: Unverkennbar der Stolz und die Freude eines Kindes, das zum ersten Mal auf „eigenen Füße steht“ und die ersten Schritte macht, und nun „etwas erreichen“ kann, z.B. das verlockende Spielzeugregal! Das Kind macht die wichtige Erfahrung der Selbstwirksamkeit!
Die körperlichen und sozial-emotionalen Eindrücke und Erfahrungen in diesem „bewegten“ Erkunden und Experimentieren und die sprachliche Benennung der erkundeten Gegenstände und ihrer Eigenschaften durch seine Bezugspersonen fördern die Entwicklung und Festigung neuronaler Verbindungen im Gehirn: Das Kind lernt, und je anregungsreicher seine Umwelt, desto besser kann sich sein Gehirn und damit auch seine spätere Lern- und Leistungsbereitschaft entwickeln. Eine motorische Einschränkung dagegen kann auch negative Auswirkungen auf andere Entwicklungsbereiche, wie Sprache und Kognition haben (Anmerkung 3).

Auch für die 3-6-Jährigen bleibt Bewegung von zentraler Bedeutung. In dem „gesundheitsrelevanten Entwicklungsthema“ für diese Altersstufe „Bewegen, Sprechen, (soziale) Achtsamkeit“(Anmerkung 4) steht Bewegung bewusst an erster Stelle. Denn wenn Kinder nicht schon in diesem Alter an elektronische Medien „gefesselt“ sind, sind sie meistens in Bewegung. Besonders, wenn sie unter vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten wählen können und nicht nur fremdbestimmte Übungen absolvieren müssen, erweitern sie ständig ihre Grenzen – und steigern so ihre Selbstwirksamkeit und damit auch ihr Körper- und Selbstbewusstsein, wenn sie etwa feststellen, dass sie höher klettern oder weiter springen oder auch mit Buntstiften und Schere besser umgehen können als früher. Bezugspunkte sind dabei aber nicht nur eigene Fortschritte, sondern vor allem die anderen Kinder: Bewegungs- und Rollenspiele dominieren in diesem Alter, und dazu braucht es – durch Gesten unterstrichene – sprachliche und soziale Verständigung, um Rollen und Regeln festlegen und einhalten zu können: Der Antrieb für motorische, sprachliche und psychosoziale Lernprozesse liegt in diesem Alter in der Lust am freien Spiel und dem Bedürfnis, mitspielen zu dürfen und dabei von den anderen Kindern anerkannt zu werden: Um kein „Spielverderber“ zu sein, müssen die Kinder Balancen finden zwischen eigenen Fähigkeiten, Wünschen und Ideen und der sozialen Anpassung an die Spielgruppe. Natürlich sind auch sprachliche und soziale Anregungen von Erwachsenen notwendig, etwa, wenn ein Streit zu schlichten ist und dabei wichtige soziale Regeln vermittelt werden können, nach denen das Spiel besser fortgesetzt werden kann. So lautet das Fazit des KJB: „Bewegungs-, Sprach- und Sozialentwicklung sind nicht einfach aufeinanderfolgende Entwicklungsschritte, vielmehr sind sie eng miteinander verknüpft …“(Anmerkung 5)

Auch in späteren Entwicklungsphasen bleibt Bewegung wichtig, etwa, wenn Schulkinder in Schulsport oder Sportvereinen und in Mannschaftsspielen nicht nur ihr sportliches Leistungsvermögen, sondern auch Fairness und soziale Verständigung trainieren oder wenn, wie erste Ergebnisse zum „Bewegten Lernen“ zeigen, das Gelernte besser „sitzt“, wenn der Lernprozess, etwa bei einer Matheaufgabe, mit passenden Bewegungen verbunden war, oder wenn kognitive Lernphasen durch Bewegungsphasen unterbrochen werden, was im Übrigen auch das persönliche Wohlbefinden steigert. Auch ist die Frage, ob nicht Auffälligkeiten wie Hyperaktivität und Konzentrationsmängel viel seltener diagnostiziert würden, wenn in den Schulen mehr „Mobilität“ möglich wäre – und das gilt nicht nur für die Schüler und Schülerinnen, sondern (vielleicht) auch für das Lehrpersonal!

 

Autorin: Dr. Hanna Permien

H-Permien

Anmerkungen:
1: Siegrist, Monika: Sport in der Schule, DSLV-News, Heft 2, 2014, S. 4-5
2: Deutscher Bundestag: 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung: „Mehr Chancen für gesundes „Aufwachsen“. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland (2009). Bundestagsdrucksache 16/12860
3: vgl.13. KJB, 2009, S. 83
4: vgl.13. KJB, 2009, S. 91ff.
5: 13. KJB 2009, S. 92

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