Schulsport in Irland: ein Erfahrungsbericht
Rund 1500 km trennen Dublin und München voneinander. Auch das Schulsystem im Allgemeinen und der Sportunterricht im Speziellen liegen weit voneinander entfernt. Schulbeginn mit vier Jahren – acht Jahre Grundschule – vorwiegend getrenntgeschlechtliche Schulen, Schuluniform, School Leagues, Gaelic Games, Active Week … all dies sind nur einige Beispiele, welche die zahlreichen Unterschiede verdeutlichen. Der folgende Erfahrungsbericht soll diese aufzeigen, erläutern und damit zum Weiter- und Nachdenken anregen.
Nach dem Abitur 2009 entschloss ich mich, ein anderes Land kennen zu lernen, meine englischen Sprachkenntnisse zu verbessern und meinen Horizont zu erweitern. Ich arbeitete zwölf Monate als Au-Pair für eine irische Familie. Au-Pair-Tätigkeiten sind, aufgrund der hohen Gebühren für vorschulische Kinderbetreuung, eine weit verbreitete Form derselben in Irland, insbesondere in Dublin. Wie für Au-Pairs üblich teilte ich mit meiner Gastfamilie Haus und Alltag. Die beiden Kinder der Familie, zwei Jungs, waren zum Start meiner Au-Pair-Tätigkeit eins und vier Jahre alt. Ich hatte eine wunderbare Zeit, verliebte mich in das Land und fühlte mich in meiner irischen Familie sehr wohl. Es entstand eine Freundschaft, welche über das Arbeitsverhältnis hinaus bestehen blieb.
Während meines Lehramtsstudiums an der Universität des Saarlandes (Lehramt an Gymnasien: Sport und Englisch) wuchs der Wunsch, noch einmal eine Zeit in Dublin zu verbringen und dabei das Schulsystem genauer kennen zu lernen. Ich stellte mich der Schulleiterin der Grundschule, welche mittlerweile beide meiner Jungs besuchten, im Januar 2013 vor und versuchte sie von den Vorteilen eines Physical Education (PE) und German Teaching Assistants zu überzeugen. Sie gab ihr Einverständnis und stimmte einer ehrenamtlichen Anstellung meinerseits für das folgende Schuljahr zu. Dieses Projekt gefiel der Schule so gut, dass sie mir einen festen Job als selbstständige Vollzeit-Sportlehrerin anbot, den ich, nach meinem Staatsexamen, zu Schuljahresbeginn im September 2015 antrat.
St. Joseph’s BNS lautet der Name der Schule – 16 Classroom Teachers (Klassenlehrer), sechs Learning Support Teachers (LST), sechs Special Needs Assistants (SNA), eine Musiklehrerin, eine Theaterlehrerin, ein Informatiklehrer, eine Direktorin, ein Konrektor, ein Hausmeister, eine Sekretärin, eine Tea/First Aid Lady und zu meiner Zeit an der Schule – eine Sportlehrerin – kümmern sich um das Wohl der knapp 500 Schüler – alle männlich. Die Klassengröße liegt mit 30 bis 32 Schülern etwas über der an deutschen Grundschulen. Jedoch werden die Klassenlehrer durch die Fachlehrer (Beispiel Sport, Theater, Musik) und die SNAs unterstützt und unterrichten somit oft im Team. Die Schüler werden mit vier bzw. fünf Jahren eingeschult und verbringen dann acht Jahre auf der Grundschule, bevor sie auf die weiterführende Schule (College) wechseln. Im Unterschied zu unserem deutschen Schulsystem gibt es nur eine Form der weiterführenden Schule mit einheitlichem Schulabschluss. Alle Schüler besuchen das College und können dort individuell unterschiedliche Schwerpunkte setzen. In diesen werden Sie, je nach Fähigkeiten, in verschiedenen Levels unterrichtet. Der größte Teil dieser Colleges ist privat, ein deutlich kleinerer staatlich gefördert. Viele private Colleges setzen einen oder mehrere sportliche Schwerpunkte, sodass die Schulwahl oft von den sportlichen Interessen und Fähigkeiten der Schüler abhängt. In Dublin gibt es noch sehr viele getrenntgeschlechtliche Schulen. Auf dem Land hat sich dieses Bild in den letzten Jahren zu überwiegend gemischtgeschlechtlichen Schulen gewandelt.
Inklusion ist in Irland nicht nur theoretisch präsent, sondern praktisch spürbar. Autismus, ADHS, körperliche Behinderung, etc. – alle lernen gemeinsam, miteinander und voneinander. Lehrer lernen über Austausch mit anderen Kollegen, erhalten Unterstützung von LSTs und SNAs, leben Heterogenität und Differenzierung und spüren die Belastung und gleichzeitig Bereicherung, Zugewinn und Freude durch die Gemeinsamkeit. Differenzierung und Mehrperspektivität sind für mich die zwei Schlagworte in Zusammenhang mit gelingendem Sportunterricht. Alle ansprechen, alle fördern, aber nicht überfordern, alle beachten, alle am Ball halten – so oft und lange es geht. Genau das wird an der St. Joseph’s BNS gelebt.
Der Sport-Lehrplan der irischen Primary School ähnelt dem LehrplanPLUS der Grundschule in Bayern, wenn auch in Irland noch sehr sportartenorientiert. Besondere Bedeutung finden, neben den klassischen, aus unseren Lehrplänen bekannten Handlungsfeldern/Sportarten, die für Irland typischen Gaelic Games Rugby, Hurling, Gaelic Football – in ihrer Endform, aber, wichtiger noch, in Mini-Varianten und Spielformen. Auf diesem Gebiet arbeiten Schule und Verein eng zusammen. Die Vereine wollen zum einen Talente sichern und zum anderen Mitglieder gewinnen. Sie senden Coaches in die ansässigen Schulen und beauftragen sie, ihre Sportart praktisch zu bewerben. So kommt beispielsweise ein Gaelic Football Coach einen Tag pro Woche in die Schule und unterrichtet, gemeinsam mit dem Klassenlehrer, über den normalen Sportunterricht von in der Regel (leider) nur zwei Mal 30 Minuten pro Woche hinaus, verschiedene Klassen über fünf bis sechs Wochen.
In der Zeit mit Sportlehrerin als Fachlehrerin genossen die Schüler der St. Joseph’s BNS alle drei bis vier 30-minütige Sportstunden pro Woche, gehalten von der Sportlehrerin (ggf. mit Unterstützung des Klassenlehrers) bzw. den Vereinscoaches. Darüber hinaus können die Schüler bspw. zwei Mal wöchentlich vor Schulbeginn (08:00 – 08:30 Uhr) Laufen, Springen, Werfen bzw. diverse After-School Angebote im Anschluss an den Schultag (14:30 – 15:30 Uhr) wahrnehmen. Diese umfassen im sportlichen Bereich bspw. Yoga, Leichtathletik, Hurling und Gaelic Football.
Eine weitere Besonderheit ist die Organisation von schulinternen bzw. stadtweiten Leagues (Turnierrunden), in welchen sich Schüler der gleichen Schule oder gleichaltrige Schüler der Schulen im Umkreis im Rahmen eines Turniers in unterschiedlichen Sportarten, insbesondere in den Gaelic Games messen. Das Finale dieser Gaelic Football bzw. Hurling (bspw.) League wird traditionell in Croke Park, im fünftgrößten Stadions Europas, in Dublin durchgeführt. Alle Schüler der im Finale teilnehmenden Schulen dürfen diesem beiwohnen und tragen zu einer einmaligen Gruppendynamik und Stimmung bei. Der Gewinner erhält dann den Turnier-Pokal und darf diesen für ein Jahr mit in die Schule nehmen.
Darüber hinaus gibt es Crosslauf-Wettbewerbe, an denen in unterschiedlichen Läufen an einem Renntag weit über 1000 Schülerinnen und Schüler verschiedener Schulen teilnehmen. Mädchen und Jungs starten getrennt. Die Streckenlänge variiert je nach Klassenstufe. Meist laufen Drittklässler eine Crosslaufstrecke von circa 600m, Viertklässler von circa 800m, Fünftklässler von circa 1000m und Sechstklässler von circa 1200m. Die ersten zehn eines Laufes erhalten eine Medaille und sammeln Punkte für die Schule für den Teamwettbewerb (Sieger 10 Punkte, Zweitplatzierter 9 Punkte, Drittplatzierter 8 Punkte …). St. Joseph’s BNS gewann im letzten Schuljahr den Teamwettbewerb der Crossläufe im Süden Dublins und darf den Pokal für ein Jahr in der Schule ausstellen. Am 1. Dezember letzten Jahres hat der dritte Crosslauf der Saison in Terenure College stattgefunden. Ich konnte persönlich anwesend sein und durfte abermals die Dynamik dieses genialen Events verspüren. Wir spazierten mit den Kindern zur ausrichtenden Schule, einige Eltern kamen zum Zuschauen, Schüler und Eltern feuerten an und fieberten mit – ein wirklich schönes Ereignis. St. Joseph’s BNS lässt, ähnlich wie die konkurrierenden Schulen, an jedem Cross Country zwei ganze Klassen (3. Klasse aufwärts) teilnehmen (circa 60 Kinder). Darüber hinaus dürfen fünf bis sechs weitere Schüler der anderen Klassen mitkommen. Insgesamt nehmen so circa 90 Schüler einer jeden Schule teil.
St. Joseph’s BNS ging mit gutem Vorbild voran und stellte eine Lehrerin eigens für das Fach Sport an. In dieser Zeit konnten die Klassenlehrer, soweit möglich, dem Sportunterricht beiwohnen und so von der Sportlehrerin lernen. Diese Entscheidung wurde von den Eltern, Schülern und Lehrern gemeinsam getroffen und zeigte sich als Bereicherung für alle Beteiligten. Die Finanzierung der Stelle wurde über das Board of Management der Schule und Spendengelder der Eltern realisiert.
Irland allgemein ist sehr bemüht, sein Image einer eher übergewichtigen, ungesunden Nation aufzupolieren. Dies wird auf allgemeiner Ebene, aber auch auf spezieller Ebene, wie der Interaktion der Organisationen und Verbände mit den Schulen, deutlich. SuperTroopers beispielsweise ist ein Programm, welches Kinder der irischen Primary Schools zu täglicher, sportlicher Aktivität führen möchte. Zentral ist ein Sport-Hausaufgabenheft, welches kostenfrei an Primary Schools (nach Anforderung) versendet wird. Dieses enthält die tägliche Sporthausaufgabe und versucht Schüler und deren Umfeld (Eltern, Großeltern, Verwandte und Freunde) zu täglicher Aktivität und einem allgemein gesundem Lebensstil zu führen. Die dazugehörigen Materialien sind übersichtlich, altersgerecht aufgearbeitet und beinhalten eine Fülle von möglichen Aktivitäten und Belohnungen. Ein weiteres Projekt nennt sich Active School. Hier beschreiben Schulen ihre Ausgangslage, ihre Ziele und ihren Fortschritt in Hinblick auf ihren Schulsport. Am Ende des Prozesses steht eine gemeinsam von Schülern, Lehrern, Eltern und Vereinen geplante und durchgeführte Active Week, in der besondere Bedeutung auf einen aktiven und gesunden Lebensstil gelegt wird – eine Woche voller sportlicher Eindrücke, mehrperspektivischer Erlebnisse mit dem Ziel, alle Schülerinnen und Schüler und deren Umfeld von den Vorzügen des Sporttreibens allgemein und der individuellen Handlungsfelder speziell zu überzeugen und mit der Begeisterung für das aktuelle und lebenslange Sporttreiben anzustecken.
Es geschieht viel im Sportunterricht in Irland, insbesondere in Primary Schools. Alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam und gleichsam zu erreichen wird hier, wenn auch das Konzept der Mehrperspektivität und des Doppelauftrags theoretisch nicht konkret vorliegen, in wunderbarer Weise vorgelebt. Ich kann dabei nur für St. Joseph’s BNS und deren Umgebung sprechen, welche sicherlich (auch nach Gesprächen mit Kollegen) eine besondere Primary School mit einer äußerst freundlichen, respektvollen und dankbaren Schulgemeinde darstellt. Ich bin dankbar, das System Schulsport in Irland kenngelernt zu haben. Ich genieße es, meine Erfahrungen meiner insgesamt fast drei Jahre in Dublin und 15 Monate als Sportlehrerin einer irischen Primary School in meine theoretische, als auch praktische Arbeit in Deutschland einbringen zu können.
Angebot:
St. Joseph’s BNS hat äußerst schlechte materielle Gegebenheiten für den Sportunterricht – keine Sporthalle, wenig Material und ein asphaltierter Parkplatz als Sportplatz. Dieser Herausforderung habe ich mich gestellt und daraus ein Konzept entwickelt, wie kompetenzorientierter, mehrperspektivischer und inklusiver Sportunterricht auch ohne Halle und mit nur wenig Material gelingt.
Diese Ideen vermittele ich in unserem DSLV Lehrgang Sportunterricht ohne Halle. Dieser hat in 2017 bereits zwei Mal stattgefunden – einmal mit dem Schwerpunkt Grundschule und einmal für weiterführenden Schulen. Sollten auch Sie an einer solchen Schulung interessiert sein, haben Sie entweder die Möglichkeit, eine schulübergreifende Fortbildung in München zu besuchen (Anmeldung und weitere Infos unter HIER) oder
oder wir führen speziell für Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen diese Fortbildung an Ihrer Schule anschreiben Sie einfach ein kurzes Mail an Melina Schnitzius.
Wir würden uns sehr freuen, von Ihnen zu hören.
Melina Schnitzius