Sportunterricht – eine beliebte Verfügungsmasse

Bundesjugendspiele 1985 an einem Münchner Gymnasium. Für die 15-16-Jährigen liegt die Latte im Hochsprung auf 1,80m. Zwei Springer sind noch im Wettbewerb, beide schaffen die Höhe – damals noch im „Straddle“.

Bundesjugendspiele 2013 am gleichen Münchner Gymnasium. Für die wenigen 15-16-Jährigen, die noch an den Spielen teilnehmen, liegt die Latte im Hochsprung auf 1,62 m. Ein Springer schafft die Höhe und darf sich über den begeisterten Beifall der Zuschauer freuen.

Moment mal, bringt der Schreiber hier nicht etwas durcheinander? Hat er nicht die Jahresangaben verwechselt? Leider, nein. Die Dinge haben sich seit den Achtziger und frühen Neunziger Jahren tatsächlich stark verändert. Verändert, aber nicht verbessert. Auch in der „guten alten Zeit“, also in den Jahren vor Erscheinen des berüchtigten Kienbaum-Gutachtens (1995), gab es nicht selten Anlass, sich über die Entwicklung des Schulsports Sorgen zu machen. Auch damals waren immer wieder Versuche zu erkennen, Sparmaßnahmen im Staatshaushalt auf Kosten des Sportunterrichts durchzusetzen. Die an sich vorgeschriebene Zahl von vier Wochenstunden für den Sportunterricht konnte wegen des Fehlens entsprechender Planstellen häufig nicht erreicht werden. Das Kienbaum-Gutachten gab der Staatsregierung und dem Landtag dann aber massive Argumente für eine ausgesprochen drastische Kürzung des Sportunterrichts in Bayern an die Hand. Jetzt mussten der Differenzierte Sportunterricht und Teile des Erweiterten Basissportunterrichts „daran glauben“. Alle Proteste von Seiten der Sportärzte, des zuständigen Schulsportreferenten im Kultusministerium, Ministerialrat Ewald Wutz, des DSLV sowie unzählige Gespräche des bayerischen DSLV-Vorsitzenden Karl Bauer mit Politikern halfen nichts. Bayern war gleichsam über Nacht zu einem schulsportlichen Entwicklungsland geworden. Den Staatsfinanzen nützte dies im Übrigen kaum etwas, an anderen Stellen war man eben besonders großzügig…

Was der Sportunterricht durch die damaligen Kürzungen tatsächlich verloren hat, wird einem klar, wenn man sich die Situation vor dem Kienbaum-Rundumschlag, also vor 1996, wenigstens in einigen wenigen Punkten in Erinnerung ruft:

Alle Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien hatten Anspruch auf vier Wochenstunden Sport, d.h. ein Mindestmaß der von Fachleuten geforderten Bewegungszeit pro Woche unter qualifizierter Leitung war in den meisten Einrichtungen gewährleistet. Die Mitgliedschaft in einem Sportverein musste noch nicht als Lückenbüßerin für Versäumnisse des Sportunterrichts herhalten.

Jede Schülerin und jeder Schüler konnte aus dem Angebot der Schule diejenige Sportart für den Differenzierten Sportunterricht auswählen, die ihr bzw. ihm am meisten zusagte. Dies war auch mit dafür ausschlaggebend, dass die Motivation und damit der Einsatz in den Kursen insgesamt sehr erfreulich waren. Da war es auch kein Wunder, dass die sportlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler davon profitierten (vgl. die einleitenden Anmerkungen).

Im Differenzierten Sportunterricht bildeten sich sehr oft auch die Schulmannschaften heraus, hier konnten die für eine Sportart besonders talentierten Jugendlichen gemeinsam trainiert werden, und hier konnten über Wochen und Monate hinweg spezielle Eignungen gezielt geschult werden. Heutzutage werden Schulmannschaften entweder komplett durch Sportvereine „gestellt“ oder die Betreuerinnen und Betreuer sind auf oberflächliche Eindrücke aus dem Basis-Sportunterricht angewiesen. Ein gemeinsames Training ist kaum möglich.

Andererseits bot der Differenzierte Sportunterricht in Verbindung mit dem Basis-Sportunterricht auch Zeit und gute Möglichkeiten, sich denjenigen Kindern und Jugendlichen besonders zuzuwenden, die sich im Sport nicht so leicht taten oder eine Abwehrhaltung gegenüber sportlicher Betätigung aufgebaut hatten.

Während man nach der Kienbaum-Baisse durch die Aufforderung an die Schulen zur Zusammenarbeit mit den Sportvereinen einen Teil des entstandenen Scherbenhaufens wieder zu beseitigen versuchte – was ziemlich misslang, da entscheidende Voraussetzungen fehlten – bot der Differenzierte Sportunterricht hervorragende Bedingungen für eine derartige Zusammenarbeit, denn durch die Konzentration auf einzelne Sportarten konnte die Arbeit in den Schulen und in den Vereinen sehr gut aufeinander abgestimmt werden. Es sei ergänzt, dass sich gerade im Bereich von normalerweise nicht so häufig an den Schulen angebotenen Sportarten (z.B. Tennis, Tischtennis, Rudern, Skilauf) überzeugende Kooperationen entwickelten.

Nach 1996 wurde nicht selten der Wunsch geäußert bzw. der Vorschlag gemacht, die nun offenkundig gewordenen Probleme im Schulsport durch den Einsatz von Fachübungsleitern im Basis-Sportunterricht und im Rahmen von Zusatzangeboten zu lösen. Abgesehen von or-ganisatorischen Schwierigkeiten, ist auch zu bedenken, dass die Fachübungsleiter ja nur in einer Sporart ausgebildet sind und schon aus diesem Grund den Anforderungen des Basis-Sportunterrichts nicht ganz gerecht werden können. Ferner kann nicht geleugnet werden, dass sie – bei aller Wertschätzung ihrer Fähigkeiten – nicht diejenigen fachlichen, methodisch-didaktischen und pädagogischen Voraussetzungen mitbringen (können), die für einen fundierten, variablen und zielgruppenorientierten Sportunterricht an den Schulen nötig sind. Die bisherigen Versuche mit dem Modell „Fachübungsleiter im Schulsport“ waren denn auch nicht sehr erfolgreich.

Es gilt von wissenschaftlicher Seite her als erwiesen, dass ein ausreichendes Angebot an wöchentlichen Sportstunden Bewegungsmangelerkrankungen und Übergewicht verhindert und eine optimale Prävention gegenüber Herz-Kreislauf-Schwächen, Bluthochdruck, rheumatischen Erkrankungen, Osteoporose und Krebserkrankungen bietet. Wie man angesichts dieser Sachlage von vier Wochenstunden Sport, wie wir sie in Bayern einmal gehabt haben, die Hälfte buchstäblich „abgeschafft“ hat, bleibt völlig unerfindlich.

Es wäre sicher falsch, die Schulsportsituation vor 1995 zu glorifizieren, paradisisch waren die Zustände auch damals nicht. Allerdings wesentlich besser als jetzt, und deshalb muss alles versucht werden, die derzeitige Situation zu verbessern. Dazu bedarf es allerdings nicht nur des Einsatzes von Sportlehrerseite, sondern auch einer entschiedenen (und auch deutlich vernehmbaren) Mithilfe von Elternverbänden, Sport- und Kinderärzten und vor allem auch der Medien. Eine „Funkstille“, wie wir sie momentan beobachten müssen, ist nicht geeignet, die verantwortlichen Politiker auf ihre Schulsportdefizite aufmerksam zu machen.

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