Bergsport in der Hohen Literatur

Goethe, Johann Wolfgang von: DIE Kenngröße Deutscher Hochkultur schlechthin! Mit-Erfinder diverser Stilrichtungen, Schöpfer von ellenlanger Weltliteratur ebenso wie von achtzeiligen Diamanten, die auch in unserer Zeit noch glänzen. Neben seinem Hauptjob als Ministerialbeamter hat der gute alte Goethe dann noch ein paar wissenschaftliche Traktate verfasst, die zum damaligen Zeitpunkt schlicht sensationell waren und Auswirkungen bis zum heutigen Tage haben – wie z.B. irgendein Knochen im Schweineschädel, der vor JWG noch niemandem aufgefallen war.

Dass dieser in Kennerkreisen als Schwerenöter und formidabler Rotweintrinker bekannte Intellektuelle auch im Bergsport durchaus zu aussergewöhnlichen Leistungen fähig war, konnten Leser der Frankfurter Sonntagszeitung in der Ausgabe vom 20. Oktober mit Staunen zur Kenntnis nehmen. Andreas Lesti gräbt dort nämlich eine Episode aus Goethes „Briefe aus der Schweiz“ aus, in der unser Flachlandtiroler sich nichtsahnend ins frühwinterliche Hochgebirge begibt und dort mit einem veritablen Stück Berg- und Sportliteratur zurück kommt.

Im Herbst des Jahres 1779 – also zur Hochzeit des „Sturm und Drangs“ – wandert unser Freund durch die Schweiz. Und wenn er schon mal da ist, will er es sich auch nicht nehmen lassen, einem damals „hippen“ Trend zu folgen und sich die Savoyer „Eisgebirge“ anzuschauen.

Kurz zur Rekapitulation: Wir schreiben Ende des 18. Jahrhunderts, von etwaigen alpinen Gefahren wusste man nur, was Bauern, Schmuggler und Wilderer so erzählten. Organisiertes oder auch nur situatives Rettungswesen war komplett unbekannt – jeder kleinste Bergunfall konnte unvermeidlich den Tod bedeuten und das auch zu wesentlich ruhigeren Jahreszeiten als im November, als Goethe diese Tour unternahm. Natürlich war er nicht alleine und selbstverständlich hatte er sich Rat bei damals anerkannten (!) Alpinisten geholt, aber wie sich zeigen sollte, ist Wissen immer auch an die jeweilige Gegenwart gebunden, und „Spezialisten“ sollte man auch damals nie blind trauen.
Sie marschieren also fröhlich los, immer höher hinauf und immer tiefer hinein in den Winter: Man will über die Furka, im November, einen Pass der heutzutage in der Regel zwischen Oktober und Mai gesperrt ist wegen Lawinengefahr. Langsam dämmert es der Gruppe – oder zumindest JWG – dass man sich auf ein Spielchen eingelassen hatte, dessen Regeln im Großen und Ganzen unbekannt waren, aber irgendwann gibt es auch kein Zurück mehr, das weniger Gefahren beinhalten würde. Die Gruppe kämpft sich also weiter, erst von Wirtshaus zu Wirtshaus, wo man sie immer erstaunter empfängt und immer kopfschüttelnder dann verabschiedet: Wer nicht hören will, muss frieren!

Bestenfalls…

So kommt‘s auch: Es wird kälter, der Schnee höher, das Wetter unwirtlicher – aber wie sagte schon der selige Luis Trenker: „Aufi muaßi!“ Stunden nach dem Aufbruch aus der Herberge kommen sie schließlich auf der Passhöhe an: hüfthoch im Schnee, immer kurz davor, den Weg zu verlieren oder sich mal unter meterhohen Lawinen wieder zu finden. Nach weiteren endlosen Stunden durch Naturgewalten erreichen sie schließlich die Realp, eine letzte Station für Eremiten der Berge. „Ein Königreich für einen Lawinenpiepser oder eine ausgeklügelte Mehr-Lagen-Gore-Bekleidung!“ hätte Goethe damals sicherlich gedacht – wenn er denn geahnt hätte, was ihm alles abgeht.

Aber so erfreuen sich die Reisenden an den Horrorgeschichten, die die letzten Verweilenden auf der Realp der halb erfrorenen Gruppe so zum besten geben über furchtbare Lawinenabgänge, von Steinschlägen erwischte Wanderer und dem drohenden Wahnsinn durch Einsamkeit und Kälte. Dass die erschöpfte Truppe tatsächlich noch halbwegs wohlbehalten wieder in sicheren Regionen ankam, ist nach heutigem Wissen nur mit einem Wort zu beschreiben: Dusel.Wie allerdings Goethe von dieser „Reise“ schreibt, lässt das meiste von dem als lächerlich erscheinen, was heute als „lebensgefährliches Abenteuer“ von zum Teil höchst renommierten Autoren des Schlagzeilen-trächtigen Überlebensreports geliefert wird.

Wer das nun selber nachlesen will, für den hier die
Literaturhinweise:

Andreas Lesti: „Vom Druck der Alpen“ in Frankfurter Sonntagszeitung, 20.10.2013

Johann Wolfgang von Goethe „Briefe aus der Schweiz“ Verlag Books on Demand

http://goo.gl/6NmBnp
(Seite 6 unten, beginnt am 3. Oktober und endet am 13. November)

http://goo.gl/igiaty
(nur das Ende der Tour 12. / 13. November)

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