Empfehlungen des Bayerischen Landessportbeirats 2013-2018

Präambel

Viele Kinder in Deutschland sind zu wenig körperlich aktiv und ernähren sich ungesund. Dies führte in den vergangenen Jahrzehnten zu einem deutlichen Anstieg von Übergewicht und Adipositas (extremen Übergewicht) (1). Diese Entwicklung ist alarmierend, da übergewichtige Kinder und Jugendliche in der Folge ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Tumorerkrankungen (2), orthopädische Probleme und Schlafstörungen haben. Auch ist ihre allgemeine Leistungsfähigkeit (3) und Lebensqualität (4;5) häufig deutlich eingeschränkt. Große Bedeutung für die Zunahme von Übergewicht hat der Rückgang der körperlichen Aktivität. Im Alltag wird z.B. weniger Radgefahren, zu Fuß gegangen und sich im Freien bewegt (6;7).

Regelmäßige Bewegung und Sport sind aber nicht nur für die gesunde Entwicklung der Kinder sehr wichtig, sondern auch eng mit der schulischen Leistungsfähigkeit verknüpft. Nationale und internationale Studien zeigen einen engen Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und besseren Schulnoten. In der Trois-Rivières-Studie in Canada wurden exemplarisch fünf Unterrichtsstunden durch Sportstunden ersetzt. Die schulische Leistung der Kinder blieb dadurch nicht nur unverändert, sondern stieg in einzelnen Fächern sogar an. Weitere Untersuchungen bestätigen diese positiven Effekte von Bewegung auf kognitive Fähigkeiten und die Schulleistung einschließlich der Schulnoten (8-10).

Es zeigt sich, dass die körperliche Aktivität einen direkten Effekt durch eine Steigerung des Blutflusses im Gehirn, durch Verbesserung der Sauerstoffversorgung und den Anstieg verschiedener Botenstoffe hat (11). Darüber hinaus bringt auch das Training selbst und das Wiederholen von verschiedenen Aufgaben im Sport positive Effekte mit sich. Zahlreiche Studien zeigen zudem, dass es sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die geistige Leistungsfähigkeit gibt und dass die Qualität der Bewegungsprogramme große Bedeutung hat. Positive Effekte wurden u.a. für die Handlungsplanung, Impulskontrolle und Aufmerksamkeitssteuerung (Exekutivfunktion) sowie für das Gedächtnis nachgewiesen (12;13).

Diese Ergebnisse unterstreichen den hohen Stellenwert, den Bewegung und Sport in den Schulen haben muss und belegen eine enge Verknüpfung zwischen den Bewegungsangeboten an Schulen und positiven Effekten, die auf andere Fächer übertragen werden können.

Leben ist Bewegung – Bewegung ist Bildung

Bewegung ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Zugleich können Bewegung und Sport den Menschen in seiner individuellen Entwicklung unterstützen.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ist in den zurückliegenden Jahren in einer Vielzahl von Studien eindeutig nachgewiesen worden, dass Bewegung und Sport zur Verbesserung der individuellen Lebensqualität beitragen. Es bestehen positive Wirkungen auf die physische und psychische Gesundheit sowie auf das Wohlbefinden von Menschen aller Altersstufen. Körperliche Aktivität und Sport stellen in vielen Feldern hervorragende Präventionsmaßnahmen dar.

Bewegung und Sport gewinnen darüber hinaus zunehmend Bedeutung in der aktuellen Bildungsdiskussion. Bildung verstanden als Persönlichkeitsentwicklung einerseits und als kognitive Leistungsfähigkeit andererseits kann ebenfalls durch Bewegung und Sport in der ganzen Breite unterstützt werden.

Zu berücksichtigen ist, dass Bewegung und Sport diese positiven Wirkungen auf Persönlichkeitsentwicklung und Kognition nicht automatisch entfalten (14), sondern gezielte Unterrichtsangebote nötig sind, die die individuelle Situation der Kinder und Jugendlichen berücksichtigen. Dabei geht es zum Beispiel um pädagogisch angemessene Arrangements genauso wie um Fragen der Qualität und Quantität des Sporttreibens. Ansonsten ist es möglich, dass Bewegung und Sport wirkungslos bleiben oder gar negative Folgen (Ausgrenzung, Unfairness, Verletzungen) zeitigen.

Der Ausschuss für „Bildung und Wissenschaft“ sieht seine Aufgabe vorrangig darin, Bewegung und Sport in solchen Kontexten zu fördern, in denen die Kinder und Jugendlichen des Freistaates Bayern auf eine gesunde Lebensführung vorbereitet und als lebensfrohe und leistungsfreudige Mitglieder der Gesellschaft für ihre erfolgreiche zukünftige gesellschaftliche Teilhabe vorbereitet werden. Neben dieser gesellschaftspolitischen Perspektive gilt es auch die positiven gesundheitspolitischen und volkswirtschaftlichen Wirkungen von richtig eingesetzter Bewegung und Sport zu betonen.

Der Ausschuss „Bildung und Wissenschaft“ unterstützt deshalb Bemühungen, die sich in der aktuellen Legislaturperiode folgenden Themenkomplexen widmen:

Bewegung & Lernen sowie Schulsport & Ausbildung von pädagogischem Personal
(1) Bewegung & Lernen

Bewegung und Lernen sind auf das Engste miteinander verknüpft. Kleinkinder entwickeln sich körperlich wie auch geistig durch Bewegung. Für Jede und Jeden, die Kinder bewusst beobachten, ist die Freude, die Kinder beim Spielen und Sich-Bewegen empfinden, schon Beweis genug, dass Sport und Bewegung sehr gute Bildungschancen bieten. Kinder werden bei Sport und Bewegung in die Lage versetzt, zu lernen, Leistungspotenziale zu entwickeln, zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten.

Die moderne neurowissenschaftliche Forschung hat zudem gezeigt, dass Bewegung zu verstärkter Gehirnaktivität führt und damit die Voraussetzung schafft besser zu lernen. Bezogen auf andere Bildungsaspekte wissen wir, dass entsprechende Bewegungsprogramme z. B. den Spracherwerb unterstützen, wobei vor allem in der frühkindlichen Bildung und bei Kindern mit schwächerem Ausgangsniveau besondere Erfolge erzielt werden können (15).

Politische Forderungen:

Unter dem Schlagwort „Die gute (frühkindliche) Bildung in Bayern“ sind hier in den nächsten Jahren auf drei Ebenen folgende Maßnahmen zu entwickeln und mit Programmen und finanziellen Mitteln auszustatten:

  • bewegungsförderndes Personal in der Schule und der frühkindlichen Bildung
    (Verankerung von Bewegung in der Erzieher_innenausbildung, der Ausbildung für alle Schularten, dezentrale Fortbildungen, Unterstützung durch Beratung vor Ort)
  • bewegungsfreundliche Räume (drinnen und draußen)
  • im Bildungsplan und Lehrplänen verankerte tägliche Bewegungszeiten
(2) Schulsport & Lehrerbildung

Dem Schulsport kommt eine herausragende Bedeutung zu. Er ist der einzige Ort, an dem alle Schülerinnen und Schüler Sport in umfassender Breite kennenlernen können. Der Sportunterricht wird allerdings nicht in dem in den Stundentafeln vorgesehen Umfang unterrichtet (16). Zudem muss im Sinne der inklusiven und pädagogisch orientierten Sport- und Bewegungsbildung der Sportunterricht bezüglich Inhalten und Vermittlungsformen anderes leisten als der außerschulische Vereinssport. Bisher gelingt es ihm noch nicht in ausreichendem Maße, sowohl die leistungsstarken als auch die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler anzusprechen und zu einer gesunden Lebensführung und zum lebenslangen Sporttreiben zu motivieren.
Vor diesem Hintergrund kommt auch der Sportlehrerbildung an den Universitäten eine zentrale Rolle zu. Hier werden die wichtigen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vorbereitet, den Erziehungs- und Bildungsauftrag des Sports in der Schule umzusetzen. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, die zukünftigen und die bereits im Schuldienst tätigen Sportlehrkräfte verstärkt mit dem Umgang mit Vielfalt (Heterogenität), auch im Sinne der Inklusion und auch der Förderung von Hochtalentierten vertraut zu machen. Die Entwicklung von Gesundheitskompetenz (bei sich selbst und bei den Schüler_innen) ist zu forcieren.

Politische Forderungen:

Es ist ein Programm „Gute schulische Bildung im und durch Sport in Bayern“ zu entwickeln, zu implementieren und mit finanziellen Mitteln auf folgenden Ebenen auszustatten:

  • Die Umsetzung der in den Lehrplänen verankerten Sportunterrichtsstunden und die schrittweise Erweiterung hin zur verpflichtenden täglichen qualitativen Sport- und Bewegungsbildungsunterrichtseinheit in den Lehrplänen
  • Erweiterung des qualifizierten Bewegungsangebots im schulischen Ganztag
  • Personal: Verankerung der genannten Themen in der Lehramts-Ausbildung, dezentrale Fortbildungen für vorhandenes Personal in verstärktem Umfang
  • Räume: neue Schulbaurichtlinien für die Kommunen, Beratung für die Träger der Gebäude / Sportanlage, Unterstützung / Beratung bei der bewegungsfreundlichen (Um-)Gestaltung der vorhandenen Räume (mit Übergangsfristen)
    Die Schulbaurichtlinien sind dahingehend zu formulieren, dass die sich auf Grund des bedarfsgerechten und flächendeckenden Ausbaus der Sport- und Bewegungsbildungs- so wie Ganztagsangebote ergebenden zusätzlich pädagogisch notwendigen Flächen bei der staatlichen Schulbauförderung nicht nur berücksichtigt werden müssen, sondern unter dem Gesichtspunkt der Bildungsförderung und Teilhabegerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler in Bayern vom Freistaat finanziell stärker unterstützt werden als bisher.

Die Aufgabe der Wissenschaft in den genannten Feldern und Themengebieten ist es, Bewegung, Spiel und Sport zu begleiten. Im Sinne einer langfristigen ressourcenschonenden Mittelverwendung müssen Programme und Initiativen über einen längeren Zeitraum untersucht und deren Wirksamkeit evaluiert werden. Dies gilt von der frühkindlichen Bewegungsbildung über den Schulsport bis hin zur Lehrerbildung.

Barbara Roth,   Prof. Dr. Hans Peter Brandl-Bredenbeck
München und Augsburg, im April 2015

Jetzt starten! – „Gehert wer’n!“

Derzeit werden die Lehrpläne in Bayern überarbeitet. Im Herbst 2018 werden die neuen kompetenzorientierten Lehrpläne in Kraft treten.
Es gilt unverzüglich die Chance zu nutzen, um Sport- und Bewegungsbildung in Schulen ergebnisorientiert zu verankern. Wenn wir nicht jetzt die gesellschaftliche Richtungsänderung hin zu einer förderlichen Bewegungskultur in der Bildung angehen, ist die Chance wieder für viele Jahre vertan. Schon mittelfristig wird sich zeigen, dass eine gute Prävention und frühe Bewegungsbildung eine günstige und erfolgreiche Strategie ist. Ein gelungenes Beispiel für wirksame Prävention ist die viele Jahre alte Initiative für Zahngesundheit. Während ein 12-jähriges Kind Mitte der 90er Jahre noch 2,44 wegen Karies zerstörte, gefüllte oder entfernte Zähne aufwies, sind es heute durchschnittlich 0,7. (vgl. Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung).
Ähnliche Erfolge kann auch eine qualitative Sport- und Bewegungsbildung entwickeln, dabei Schulleistungen positiv beeinflussen und insgesamt den Lebenserfolg und die persönliche Zufriedenheit von Kindern und Jugendlichen fördern.
Dadurch können auch erhebliche Kosten in anderen Bereichen eingespart werden, wie zum Beispiel im Bereich der Medizin oder der Bildungsförderung. Das bayerische Gesundheitsministerium geht davon aus, dass im deutschen Gesundheitssystem bereits heute rund 80 Milliarden Euro (€ ) jährlich für prinzipiell vermeidbare Krankheiten ausgegeben werden.
Diese Ausgaben werden noch deutlich steigen, wenn die heute an Bewegungsarmut leidenden Kinder älter werden. Solange Inaktivität in der Kindheit als stabiles Verhaltensmuster geprägt wird, werden viele später ansetzende Präventionsmaßnahmen ins Leere laufen. Hingegen verursacht eine kontinuierliche Bewegungsbildung von Kindesbeinen an vergleichsweise geringe Kosten, legt Aktivität als primäres und stabiles Verhaltensmuster an und erhöht gleichzeitig langfristig Lebenschancen durch Bildungsteilhabe und soziale Integration. Ist Aktivität als stabiles Muster in der Bildung angelegt ergibt sich der Brückenschlag zu der vielfältigen bayerischen Vereinssportkultur von selbst und die Basis für ein bewegtes, gesundes und zufriedenes Leben ist geschaffen.

Einstimmig beschlossen im Plenum des Landessportbeirats am 20. Oktober 2015

Literatur:

(1) Kurth B, Schaffrath Rosario A. Die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2007;50(5/6):736-43.
(2) Reilly JJ, Kelly J. Long-term impact of overweight and obesity in childhood and adolescence on morbidity and premature mortality in adulthood: systematic review. Int J Obes (Lond) 2011, 35(7), 891-8.
(3) Wabitsch M. Overweight and obesity in European children: definition and diagnostic procedures, risk factors and consequences for later health outcome. Eur J Pediatr 2000 September;159 Suppl 1:S8-13.
(4) Schwimmer JB, Burwinkle TM, Varni JW. Health-related quality of life of severely obese children and adolescents. JAMA 2003 April 9;289(14):1813-9.
(5) Warschburger P. The unhappy obese child. Int J Obes (Lond) 2005 September;29 Suppl 2:S127-S129.
(6) DiGuiseppi C, Li L, Roberts I. Influence of travel patterns on mortality from injury among teenagers in England and Wales, 1985-95: trend analysis. BMJ 1998;316(7135):904-5.
(7) Lampert T, Mensink G, Rohmahn N, Woll A. Körperlich-sportliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2007;50(5/6):634-42.
(8) Sibley B, Etnier J. The Relationship Between Physical Activity and Cognition in Children: A Meta-Analysis. Pediatric Exercise Science 2003;15:243-56.
(9) Singh A, Uijtdewilligen L, Twisk JW, van MW, Chinapaw MJ. Physical activity and performance at school: a systematic review of the literature including a methodological quality assessment. Arch Pediatr Adolesc Med 2012 January;166(1):49-55.
(10) Trudeau F, Shephard RJ. Physical education, school physical activity, school sports and academic performance. Int J Behav Nutr Phys Act 2008 February 25;5(1):10.
(11) Etnier JL, Nowell PM, Landers DM, Sibley BA. A meta-regression to examine the relationship between aerobic fitness and cognitive performance. Brain Res Rev 2006 August 30;52(1):119-30.
(12) Hillman CH, Pontifex MB, Castelli DM, Khan NA, Raine LB, Scudder MR et al. Effects of the FITKids randomized controlled trial on executive control and brain function. Pediatrics 2014 October;134(4):e1063-e1071.
(13) Tomporowski P, Mccullick B, Pendleton D, Pesce C. Exercise and children’s cognition: The role of exercise characteristics and a place for metacognition. Journal of Sport and Health Science 2014;(doi.org/10.1016/j.jshs.2014.09.003):1-9.
(14) Gerlach, E. & Brettschneider, W.-D. (2013). Aufwachsen mit Sport. Befunde einer 10-jährigen Längsschnittstudie zwischen Kindheit und Adoleszens. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.
(15) Zimmer, R. (2008). Sprache und Bewegung. In W. Schmidt (Hrsg.) (unter Mitarbeit von R. Zimmer & K. Völker), Zweiter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht (S. 255-276). Schorndorf: Hofmann.
(16) DSB (Deutscher Sportbund) (Hrsg.) (2006). Die DSB-SPRINT-Studie. Eine Untersuchung zur Situation des Schulsports in Deutschland. Aachen: Meyer & Meyer.
Einstimmig beschlossen im Plenum des Landessportbeirats am 20. Oktober 2015 Seite 5 von 5

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